Einige Bilder voraus

Schultze ca. 1902
Schultze ca 1914
Schultze 1950er
Bianca und Siegfried Schultze 1954
Schultze 1964
Schultze 1985
Väterliches Rittergut Jäschkittel Haupthaus nach dem 2. Weltkrieg

Siegfried Schultze

Man scheint einem Phantom nachzujagen: ab den Zwanziger Jahren begleitet der Pianist Siegfried Schultze Bronislaw Huber­man 12 Jahre lang und Georg Ku­lenkampff fast ein Vierteljahrhundert auf dem Podium und bei Schallplattenauf­nah­men. Bis weit in den Zweiten Welt­krieg hinein kon­zertiert er mit Kulenkampff. Da­ne­­ben - und danach - gibt es (noch 1951!) einige  Kla­vier-Solo-Aufnahmen.
Am 24. Oktober 1932 spielt Schultze in Prag - unter der Leitung von Georg Szell - zu­sam­men mit Bro­nis­law Hu­ber­man und Emanuel Feuer­mann Beet­hovens Tri­pel-Konzert.
Am 30. 6. und am 7. 7. 1942 nimmt er mit dem Kla­ri­nettisten Luigi Amo­dio 12 Werke für Klarinette und Klavier von Weber, Schu­mann und Brahms auf.
Über Schultzes Frühzeit gibt ausschließlich Erich Her­mann Müller’s Deut­sches Musiker-Lexikon von 1929 Auskunft.
Mehr war auch mittels In­ternet nicht zu finden - bis auf eine Angabe, auf die mich Holger Bünte aufmerksam machte: Eli­za­beth MacDougall in Ukiah/USA nennt Sieg­fried Schultze als einen ihrer Lehrer!
Siegfried Schultze, am 12. September 1897 in Eisselbitten/Ostpreu­ßen [heute Sirenevo; ca. 17 km nördlich von Kö­nigs­berg, heute Kalinin­grad] als eines von 5 Kin­dern des Rittergut­b­e­sit­zers Franz Schultze ge­bo­ren, zeigt früh und an­haltend so deutliche mu­si­ka­li­sche Inter­es­sen, dass ihn die Eltern zum „bes­ten er­reichbaren Kla­vier­lehrer“ schicken.
Diese „besten“ sind zunächst ein Herr Wandelt in Dessau und bis zum 15. Le­bens­jahr Georg Dohrn in Breslau.
Danach studiert er bis zum 20. Le­bens­jahr bei Heinrich Barth, Engelbert Hum­perdinck und Leo Schrattenholz an der ‘Hoch­schule für Musik der König­lichen Aka­de­mie der Künste zu Berlin’  [zeitgleich mit Kempff und Kulenkampff].
Ab 1917 beginnt er seine Konzert­lauf­bahn. Früh spielt er bei der Beethoven Association New York.
Bereits 1921 zählt ihn Wal­ter Nieman in Meis­ter des Klaviers zu den „ernsten und tüchtigen Spielern“ aus „Heinrich Barths akademischer Meis­terschule“, die „schö­ne Hoffnungen erwecken“.
Ab 1923 lebt und lehrt Schultze in Ber­lin.
Hier lernt er den Geiger Bronislaw Hu­ber­man kennen, woraus eine 12 Jahre an­dauernde Part­ner­schaft resultiert, die ihn buchstäblich „durch alle Welt“ führt.
Mit Kulenkampff konzertiert er - wie oben ge­sagt - bis weit in den II. Weltkrieg hinein. Ku­lenkampffs Sohn Cas­par weist z.B. für die Zeit um 1935-36 auf das häusliche Pro­ben seines Va­ters zusammen mit ‘Ted­dy’ Schultze hin.
Als Solist unternimmt Sieg­fried Schult­ze zwischen 1920 und 1930 Tourneen durch die Tsche­chei, Un­garn, Holland, Ame­­­ri­ka, Ägyp­ten und den Balkan.
In den 1930er Jahren leitet er die Kla­vier­abteilung der Musikakademie Hann­­over.
In dieser Zeit lernt er Bi­an­ca Fi­scher, Sopranistin an der Oper in Kö­nigs­berg, kennen - und heiratet sie 1936.
Trotz „Zurede“ treten Schult­ze und seine Frau nicht in die Partei ein. Sie machen sehr schnell die Erfahrung, dass man sich auch anscheinend zuverlässigen Freun­den gegenüber mit Mei­nungs­äuße­rungen vorsichtig verhalten muß.
Während des Zweiten Weltkrieges wird Schultze vom Militärdienst freigestellt, muss sich aber für zivile Dienste zur Ver­fügung halten.
Während der Fliegerangriffe auf Berlin fällt das Haus, in dem sie wohnen,  Brand­bomben zum Opfer - und damit ihre ge­samte Habe, einschließlich zwei Flü­geln. Sie besitzen nur noch den Inhalt zweier Ruck­säcke, die sie in den Luft­schutzkeller mitnahmen. „Wie wir überlebten, war ein Mirakel!“
Die Nachkriegsjahre sind von starken Exis­tenzproblemen geprägt. 1951 können Schultzes dank der Bürgschaft einer Tan­te von Bianca nach Los Angeles übersiedeln, wo sie zunächst nur dank der materiellen Hilfe eben dieser Tante „über die Runden kommen“. Siegfried gibt Privat­untericht und nimmt gelegentliche Kon­zer­te wahr. Mit zwei aus Deutsch­land stam­­menden Schwestern kommt es zur Gründung eines Klavier­trios. Bianca ar­bei­tet eine Zeit lang an einer Handels­schule, bevor sie eine Sekretariatsstelle an einer Privatklinik bekommt.  Mitte der 50er Jahre  erhalten Bian­ca und Sieg­fried die amerikanische Staatsbürger­schaft.
1952 vermittelt der Organist und Chor­be­gleiter William Mintner den Kontakt zu Es­ther Munroe - Lehrerin, Kir­chen­chor­lei­te­rin, Gründerin der Ukiah Oratorio Society - die Siegfried Schultze als Begleiter und musikalischen Berater engagiert.
Zuhause installiert Schultze ein Kla­vier­unterricht-Studio. Bianca bekommt ei­ne Stelle beim Hillside Community Ho­spi­tal.
Schultze wird in seinem neuen Wir­kungs­kreis offenbar völlig angenommen und übernimmt - nachdem sich Es­ther Munroe 1965 zur Ruhe setzt - die Lei­tung der Ukiah Oratorio Society. In der Fol­ge­zeit führt Schultze mit dieser Insti­tu­tion Ora­to­rien von Bach, Händel, Haydn und Men­delssohn auf. Mit Brahms’ Re­quiem, bei dem Bianca den Sopran-Part singt, lobt die Presse, er habe „directly and indirectly contributed a great deal in the furtherance of good music in our community“.
Nach Beendigung der Lei­tung der Ukiah Oratorio Society führt Schultze seine private Unterrichts­tätigkeit fort.
Walter Ihl: „Obwohl Sieg­fried Schult­ze in allen Perioden der Mu­­sikgeschichte sehr genau bewandert war, war er in seinem Herzen immer ein Ro­man­tiker. Chopin war vielleicht sein Lieb­lings­komponist. Er konnte jedes Stück die­ses Komponisten jederzeit auswendig spielen.
Bei Gesellschaften im Haus von Freun­den forderte man ihn immer auf zu spielen. Er erwies ihnen stets mit schönen Dar­bie­tungen seiner Lieblingskonzert­stü­cke den Gefallen.
Schultze spielt kein Klavier mehr [1985 mit 88 Jah­ren]. Er kann es nicht. Rheu­­matische Arthritis ließ die Gelenke an beiden Händen anschwellen, so dass seine Finger jetzt gekrümmt und verkrampft sind. Er hat jedoch ein Ver­mächtnis hoher Unterrichtsmaßstäbe hinterlassen, das mehrere seiner früheren Schüler für eine professionelle Laufbahn vorbereitet hat.
Vielleicht können sein Leben und seine Kar­­riere am besten in einer Ehrung aus dem Jahr 1973 durch den Mendocino Coun­ty Messiah Chor zusammengefasst werden, der ihn als ‘einen Meister­mu­si­ker, einen wertvollen Freund, aber am al­lermeisten als eine Quelle der Inspiration und der Ermutigung für die, welche mit musikalischen Bestrebungen beschäftigt sind’ beschreibt.“