Adolf Karl Gottwald: Hans Altmann

Wer zwischen 1946 und 1961 beim Bayerischen Rundfunk Lieder oder Instrumentalstücke mit Klavierbegleitung aufnehmen wollte, fiel unweigerlich in die Hände von Hans Altmann und war darin sehr gut aufgehoben. Altmann war in diesen Jahren u. a. Chefpianist beim Bayerischen Rundfunk und stand in ungemein hohem Annsehen. Die aufbewahrten Aufnahmen mit Hans Altmann am Klavier füllen Regale. Wichtige Solo-Einspielungen, etwa die Gesamtaufnahmen der Etüden und Preludes von Chopin, wurden gelöscht, doch die meisten Einspielungen mit Hans Altmann als Duo-Partner blieben erhalten, darunter Aufnahmen mit den Sängerinnen Felicie Hüni-Mihacsek, Erna Berger. Elisabeth Schwarzkopf, Elisabeth Grümmer, Anneliese Rothenberger, Suzanne Danco, Anneliese Kupper, Ilse Hollweg, Erika Köth, mit den Sängern Kim Borg. Kieth Engen, Lorenz Fehenberger, Ferdinand Frantz, Nicolai Gedda, Helmut Krebs. Julius Patzak. Karl Schmitt-Walter, Gerard Souzay, Fritz Wunderlich, Peter Anders. Hans Hotter, Georg Wieter, Hermann Prey sowie die ersten Rundfunkaufnahmen mit Dietrich Fischer-Dieskau, mit Geigern wie Thomas Magyar, Ricardo Odnoposoff. Roman Totenberg, Arthur Grumiaux und Edith von Voigtländer, mit Cellisten wie Hermann von Beckerath, Ludwig Hoelscher, Georg Neikrug, Daniel Schafran und mit allen Solisten und Konzertmeistern des Sinfonieorchesters des Bayerischen Rundfunks. Die letzte Aufnahme, etwa vier Wochen vor seinem Tod, war eine Einspielung der Violinsonate von Cesar Franck mit der französischen Geigerin Janine Andrade. Gerhard Taschner spielte beim Bayerischen Rundfunk die Sonatine (Sonate) in D-Dur op. post. 137/1 von Franz Schubert, die Sonatine in G-Dur op. 100 von Anton Dvorak, die Sonate g-Moll und die 24. Caprice e-moll von Nicolo Paganini, den Hopak von Modest Mussorgsky, die Mazurka op. 16 von Alexander Zarzycki, die Serenade espagnole von Cecile Chaminade, Präludium und Allegro von Pugnani-Kreisler und die Milonga von Alberto Ginastera ein, selbstverständlich alles mit Hans Altmann am Klavier. Doch Hans Altmann war weit mehr als nur Chefpianist beim Bayerischen Rundfunk, er war Dirigent, Pianist, Komponist und Hochschullehrer, ein universaler Musiker. 

Hans Altmann wurde am 27. November 1904 in Straßburg als Sohn des aus Posen stammenden Arztes und Musikschriftstellers Gustav Altmann und der Konzertsängerin Margarethe Altmann-Kuntz, einer französischen Elsässerin, die eine Gesangsklasse am Straßburger Konservatorium hatte, geboren. Als 7jähriger wurde er Hans Pfitzner vorgestellt, von 1908 bis 1918 Städtischer Musikdirektor und Direktor des Konservatoriums in Straßburg, der ihn unter Altersdispens ins Konservatorium aufnahm und die vielseitige Begabung des Kindes persönlich förderte. Bereits ab dem 9. Lebensjahr war Hans Altmann Liedbegleiter in den Konzerten seiner Mutter und im Alter von zwölf Jahren spielte er unter der Leitung von Hans Pfitzner im Rahmen der Straßburger Sinfoniekonzerte ein Klavierkonzert. 1919 emigrierte die Familie nach Frankfurt am Main. Altmann setzte von 1919 bis 1923 sein Studium am Hoch'schen Konservatorium fort, und zwar unter anderem bei Konservatoriumsdirektor Waldemar von Bausznern (Komposition) und Karl Böhm (Dirigieren). 1923 machte er sein Abitur, zugleich war seine musikalische Ausbildung abgeschlossen. Altmann wurde von Clemens Krauss, damals Operndirektor in Frankfurt, als Solorepetitor engagiert. Mit Krauss ging Altmann als Solorepetitor, später Kapellmeister und musikalischer Assistent des Chefdirigenten, nach Wien, Berlin und München, wo er unter anderem Uraufführungen von Strauss-Opern mit Sängern wie Viorica Ursuleac und Franz Völker einzustudieren hatte. In dieser Zeit machte er sich bereits einen Namen als vorzüglicher Begleiter am Klavier, er konzertierte damals mit Stars wie Elisabeth Schwarzkopf, Julius Patzak und Franz Völker. Als Dirigent debütierte er am 7. Dezember 1939 im Münchner Nationaltheater mit dem »Freischütz«. Alexander Berrsche schrieb über dieses Debut unter anderem: 

»Hans Altmann, einer der Solorepetitoren unserer Oper, den wir längst als feinsinnigen Liedbegleiter kennen, hat sich in der gestrigen >Freischütz<-Aufführung zum erstenmal als Dirigent bewähren dürfen ... Jedenfalls hat Hans Altmann alles gegeben, was man von einem Debutanten erwarten konnte, und noch einiges dazu. Er hat eine Überlegenheit der Technik, eine Klarheit und Diskretion der Zeichengebung, eine von Richard Strauß erlernte Art, mit knappen Bewegungen des Handgelenks die Aufmerksamkeit der Mitwirkenden auf die Spitze des Taktstockes zu konzentrieren, lauter Eigenschaften, die man nur bei gereiften Meistern und höchst selten bei jungen Menschen antrifft. Soweit man ihn beobachten kann, fühlt man, wie genau er >abhört<, wie spontan er korrigiert, und mit welcher Wachheit er den Zusammenhang zwischen Bühne und Orchester aufrechterhält und vor allen Schwankungen bewahrt.«"" 

Sehr positive Besprechungen dieses Debuts schrieben auch Oscar von Pander, Anton Würz und Wilhelm Zentner. Weitere von der Kritik stark beachtete Aufführungen unter der musikalischen Leitung von Hans Altmann waren Goethes »Egmont« mit der Musik von Beethoven im Münchner Residenztheater sowie im Nationaltheater »Martha« (32 Aufführungen). »Cavalleria rusticana« und »Bajazzo« (23 Aufführungen). »Don Pasquale« (13 Aufführungen), »Der Troubadour« (22 Aufführungen), »Madame Butterfly« (30 Aufführungen). »Die verkaufte Braut« (unter anderem die 100. Aufführung). »Der Evangelimann« und in eigener Einstudierung »Die vier Grobiane« (jeweils 16 Aufführungen). Im »Reichsgautheater Posen« gastierte Altmann erfolgreich mit »Ariadne auf Naxos« und wurde daraufhin für die Spielzeit 1944/45 als »Erster Opernkapellmeister« nach Posen verpflichtet. Er dirigierte dort u. a. »Die verkaufte Braut«. »Die Hochzeit des Figaro« und brachte »Rigoletto« sowie »Die Entführung aus dem Serail« heraus. Im Herbst 1944 wurden die Theater geschlossen, Altmann zur Wehrmacht eingezogen. Im Sommer 1945 wurde er Chefdirigent am Stadttheater Görlitz, im Herbst Chefdirigent am Stadttheater Zittau, zwei der wenigen intakten Häuser nach Kriegsende. Er eröffnete beide Theater mit Konzerten und Opernabenden. Seine Einstudierungen waren dort u. a. »Fra Diavolo« und »Carmen«. Im Februar 1946 gelang ihm die Flucht aus der russischen Besatzungszone nach München. Da an der Bayerischen Staatsoper mittlerweile alle Posten besetzt waren, ging er zum Bayerischen Rundfunk (damals noch: 

Radio München), wo er bereits seit 1938 als freier Mitarbeiter tätig war. Hans Altmann wurde als Chefdirigent mit Vertrag für Kammermusik und Soloklavier verpflichtet. In erstaunlich kurzer Zeit produzierte er mit Sängern der Bayerischen Staatsoper 38 Opern für den Bayerischen Rundfunk. In dieser Zeit dirigierte er auch als ständiger Gast die Münchner Philharmoniker und die Bamberger Symphoniker. Dabei brachte er u. a. die 1945 geschriebenen »Metamorphosen« von Richard Strauss zur Münchner Erstaufführung. 1949 heiratete er in zweiter Ehe die dramatische Mezzosopranistin Renate Gebel, die in Dresden studiert hatte. an den Bühnen in Cottbus, Posen. Osnabrück. Görlitz und Zittau, nach 1946 an der Bayerischen Staatsoper München sowie am Bayerischen, Kölner und Frankfurter Rundfunk sang. Im selben Jahr wurde er von Eugen Jochum als Chefdirigent des Bayerischen Rundfunks abgelöst. Altmann blieb Leiter der Kammermusikabteilung und Chefpianist. Er begleitete Sänger und Instrumentalsolisten bei Rundfunk- und Schallplattenaufnahmen, Konzerten und Konzerttourneen. Als Solist widmete er sich später auch der Neuen Musik. Einen besonders großen Erfolg, der ihm zum Beispiel bei der BBC London die Wege ebnete. hatte er mit einer Aufführung des Klavierkonzerts op. 36/1 neu eingerichteten Meisterklasse für Liedgestaltung (1955 Professor). Zusammen mit dem Geiger Horst Gabloffsky und dem Cellisten Sebastian Ladwig gründete 1955 das »Süddeutsche Kammertrio«, das mit großem Erfolg in allen westeuropäischen und skandinavischen Ländern, aber auch in Spanien, Portugal, Marokko, Griechenland und Ägypten konzertierte. 

Seit seinem 16. Lebensjahr widmete sich Hans Altmann auch der Komposition. Er schrieb über 80 Lieder, darunter den Zyklus »Die chinesische Flöte« op. 24, und 30 Klavier- und Kammermusikwerke. »Die natürlich strömende Klangphantasie, spricht sich in innig verhaltenen Liedmelodien aus, die sich in farbige Harmonien betten und aus dem Urquell zeitloser romantischer Empfindung aufsteigen. Aber aller Ordnungsbezogenheit, bei aller Bindung an tonale Gesetzlichkeiten bricht doch die Sprache unserer Zeit durch die strenge Hülle von Form und kontrapunktischer Verdichtung in der weitbogigen Stimmführung, in der schwebenden Auflösung Klangs, in der aparten Rhythmik. Hans Altmanns Musik klingt in unsere Zeit als musikalisches Bekenntnis zu einer für alle Zeiten gültigen Humanität.« (Alfons Ott ca. 1953). Menschlichkeit, Toleranz, Güte und Liebenswürdigkeit waren die herausragenden Charaktereigenschaften, die von allen, die diesen großen Künstler kannten, besonders geschätzt wurden. Hans Altmann starb am 25. Februar 1961 in München.