Leopold Casella - Nachruf von Richard Flury

Aus Lugano erhalten wir die Nachricht, dass Leopold Casella nach 32jähriger Tätigkeit als Di­rigent des Radioorchesters Monte Ceneri auf Ende dieses Jahres von seinem verantwortungsvollen Amte zurücktritt. Es wäre unverantwortlich, bei dieser Gelegenheit die Dienste zu übersehen, die diesem verdienten Meisterdirigenten gebühren. Schon mit Beginn seiner Dirigententätigkeit hat Leopold Casella nicht nur die Werke der großen Meister aufgeführt, sondern auch jungen Talenten des Auslandes, insbesondere aber den Schweizer Komponisten seine Aufmerksamkeit und Liebe zu­gewandt, sie auf jede Weise gefördert, bekannt gemacht und dadurch in ihrer Arbeitslust ermutigt Die Dirigierkunst Casellas bestand nie in einem Schaudirigieren für ein sensationslustiges Publikum, was ja bei Studioaufführungen, die seltener öffent­lich sind, Gott sei Dank auch weniger ins Gewicht fällt. Nutzlose Dirigierbewegungen sind für die Orchestermusiker völlig überflüssig und lenken den Zuhörer vom innerlichen Erfassen der Musik nur ab. Casella dirigierte schlicht, einfach mit leichter und selten feinfühliger Hand, so etwa, wie es noch bei Artur Nikisch, Franz Schalk, Bruno Walter Hans Knappertsbusch und anderen Meistern der älteren Dirigentenschule der Fall war. — Casella diente als echter Musikant, vom Inhalt der Werke inspiriert, nur der Musik. Dabei blieb er als Mensch immer liebenswürdig und als Künstler stets beschei­den, Vor wenigen Tagen vollendete er sein 65. Le­bensjahr. Heimatberechtigt im tessinischen Bar­bengo und in Montevideo geboren, erfolgten seine Musikstudien zuerst in Parma und während sechs Jahren am Dr.-Hochschen-Konservatorium in Frankfurt am Main, mit Diplomabschluss als Kon­zertpianist und in Komposition. Bis zu seiner Be­rufung als Chefdirigent in Lugano wirkte er meh­rere Jahre als Kammermusiker und Konzertpianist und darnach naturgemäss auch öfters als Gastdiri­gent in der Schweiz und im Ausland. Von 1937 bis 1954 war er als Vertreter des Kantons Tessin Mit­glied des Vorstandes im Schweizerischen Tonkünstlerverein.

Der Unterzeichnete ist Leopold Casella für viele Aufführungen seiner ersten Orchesterkompositio­nen zu tiefem Dank verpflichtet und sendet seinem Freund und Gönner nebst herzlichen Geburtstagsglückwünschen alle besten Wünsche zu einem ge­segneten „otium cum dignitate“, denen sich alle deutschschweizerischen Zuhörer seiner Konzerte mit Begeisterung und Dank  anschliessen.

Richard Flury