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Nachdruck - auch auszugsweise - nur mit Quellennachweis

Váša Príhoda

Ein Jahrhundertgeiger rückt wieder ins Blickfeld

Jaroslav Holec schrieb 1989: „Heute wo wir schon mit genügendem Zeitabstand sine ira et studio seine künstlerische Bedeutung bewerten können, müssen wir feststellen, dass Váša Príhoda unter die führenden Repräsentanten der tschechischen Interpretationskunst und in eine Reihe der Violinvirtuosen gehört, auf deren Anfang Josef Slavík und am Ende Josef Suk stehen.“ Bohuslaw Matousek bekennt: „Váša war für mich und ist immer wie eine magische Erscheinung.“

1955 hörte ich im Radio den tschechischen Geiger Váša Príhoda mit den „Nel cor più non mi sento“-Variationen von Paganini. Mein ungläubiges Erstaunen über die geigerische Non-plus-ultra-Leistung des mir unbekannten Geigers habe ich noch immer lebhaft vor Augen! Meine jahrzehntelangen Recherchen zu Príhoda brachten viele Überraschungen zutage. Für fast alle Befragten war Príhoda der stupendeste Geiger seiner Zeit, einer der uneitelsten unter den Großen – und die Inkarnation tschechischen Musikantentums!

Jugendjahre

Váša Príhoda lebte von 1900 bis 1960. Von den Höhen und Tiefen in diesen sechzig Jahren war am 22. August 1900 in dem kleinen Häuschen seiner Schwiegereltern in Vodñany, in dem Vašícek zur Welt kam, nichts zu ahnen.

Vater Alois Príhoda, aus dem Prager Stadtviertel Pankrac stammend, spielte in seiner Jugend u.a. in der Kapelle von Josef Matej Kubelik - dem Vater des Geigers Jan Kubelik. Seinen Unterricht bei Sevcik und Fibich schloß er mit dem Staatsexamen für Violine und Musik ab. 1896 eröffnete er in Pankrac eine Musikschule. 1919 ließ er sich endgültig in der Otakarstraße in Nusle nieder und nannte sein Institut fortan „Erste tschechoslowakische Musikschule des Herrn Direktor Alois Príhoda in Nusle“. - Alois Príhoda starb 1937.

Vášas Schwester Ruženaberichtet über den frühen Unterricht: „Als wir unsere Vorbereitungen trafen, unsere Ferien in Vodñany zu verbringen, hat unser Vater als erstes Vášas Geige und eine Unmenge Noten eingepackt, in denen er mit energischem Strich alle Stellen markiert hatte, die Váša während der Ferien einüben sollte. Zum Glück hatte Vater die außerordentliche Begabung seines Sohnes bereits im zartesten Kindesalter erkannt. Er erlaubte es nie, vom festgelegten Arbeitsprogramm abzuweichen, selbst wenn ihm (nach eigenem Bekunden) Vašícek leid tat ...  In Vodñany übte Váša meistens in dem Zimmerchen neben Großvaters Schneiderladen.“

Váša Príhoda: “Mein Vater ... unterrichtete mich, bis ich zehn Jahre alt war. Dann ging ich ans Prager Konservatorium und studierte bei Marak. - Marak ... ist weder ein spektakulärer Lehrer noch legt er irgendeine enge Linie von technischen oder anderen Einzelheiten nieder, wie man ein guter Geiger wird. Er ist ein weitherziger, großzügiger Eklektiker, der – entsprechend den Bedürfnissen des einzelnen Studenten – verwendet, was immer in der ganzen Spannweite des Studienmaterials am besten zu sein scheint, um eine spezielle Begabung zu entwickeln. Und wenn er nicht findet, was er für einen besonderen Zweck oder Studenten möchte, schreibt er es selbst ... Marak war nicht interessiert daran, wie lange seine Schüler übten. Er war nur daran interessiert, wie sie das spielten, was sie für ihn vorbereitet hatten ... Er bestand niemals darauf, Interpretation gemäß Traditionen um ihrer selbst willen zu lehren. Ich bereitete immer Beethoven oder Brahms oder Bach nach meinen eigenen Grundsätzen und selbständig vor: als ich für Marak spielte, kam er in seiner Kritik und Korrektur nur auf Musikantentum und guten Geschmack zurück.“

1912 absolvierte Váša Príhoda seinen ersten offiziellen öffentlichen Auftritt mit Mozarts D-dur-Konzert, Vieuxtemps Ballade et Polonaise, Sarasates Romanza andaluza, Smetanas ‘Aus der Heimat‘, sowie Stücken von Dvorak und Fibich. Im Dezember 1913 spielte er zum ersten Male im Prager Mozarteum. Auf dem Programm stand u.a. Beethovens ‘Frühlings-Sonate‘ und Tartinis ‘Teufelstriller-Sonate‘.

„Als der Krieg alle normalen künstlerischen Tätigkeiten in Böhmen zu Ende brachte, ... spielte ich für das böhmische Rote Kreuz, und als der Frieden kam, dachte ich, ich würde eine Konzerttournee durch Italien wagen. Ich ging dorthin über die Schweiz und spielte einige Konzerte in Bern und Zürich ... Aber in Italien war es nicht so leicht für einen unbekannten jungen böhmischen Künstler, Gehör zu finden. ... als ich ... mit meinem Freund und Manager Herrn Richter ... Mailand an Weihnachten 1919 erreichte, hatten wir beide zusammen vielleicht 70 Groschen – und dieses Geld verwendeten wir für ein Weihnachtsabendessen mit Brot und Äpfeln ... Als wir etwas später die Straßen entlang schlenderten, kamen wir zufällig an einer Gaststätte namens „La Gran Italia“ vorbei und hörten die Musik eines Orchesters .. der Besitzer ließ sich dazu bringen, mir eine Chance zu geben, für seine Kunden zu spielen ... Bavagnoli, früher Dirigent an der Metropolitan Opera, saß zufällig an einem der Tische. Er hörte mich spielen, und das war der Beginn von glücklicheren Tagen. Er traf sich mit anderen Künstlern und Presseleuten, und ein Konzert wurde für mich arrangiert, ein Benefizkonzert für das Rote Kreuz, welches Toscanini selbst besuchte, wobei er blieb, um mein ganzes Programm zu hören. Danach sah er zu mir auf, lud mich ein, bei ihm zu Hause zu spielen, war beteiligt an der stattlichen Summe, die mir nach dem Recital präsentiert wurde, und gab mir sehr nützliche Empfehlungsbriefe. Ich könnte ihn den guten Engel meiner italienischen Reise nennen, denn nach diesem Treffen mit ihm ging alles reibungslos ...“

Príhoda durfte Paganinis Kanone spielen: „Ich fand, dass das Instrument einen wunderbar süßen und schönen Ton hatte, und es schien in ausgezeichnetem Zustand zu sein. Ich spielte Paganinis eigene Variationen über Nel cor più non mi sento und einige der Capricen, und ich muss gestehen, dass ich ziemlich erregt war, genau auf dem Instrument zu spielen, mit dem Paganini die älteste Schwester Napoleons, die charmante Pauline Borghese, bezaubert hatte ...“

Nach einer großen Italien-Tournee reiste Príhoda zusammen mit der Pianistin Asta Doubravská nach Südamerika, wo er bereits als „El gran intérprete de Paganini“ angekündigt wurde. Die anschließende USA-Tournee brachte ihm in der Carnegie Hall, Chicago, Detroit, Cleveland und anderen Großstädten höchste Erfolge. Nachum Franko: “Váša Príhoda ist der beste Spieler, den ich je gehört habe.“ Wilson Smith: “Intuitive Genialität, besser als Heifetz.“

Príhoda ließ sich durch das Presselob nicht täuschen. Nach der Rückkehr nach Europa zog er sich nach St. Wolfgang zurück und begann wie besessen zu üben.Zum einen bereitete er sich auf Konzerte in Wien vor, zum anderen arbeitete er zielstrebig an seiner Technik. In dieser Zeit schrieb er seine Bearbeitung der Paganinischen „Nel cor piu non mi sento“- Variationen, die ihn lebenslang begleiten sollten.

Hans Mühlbacher erinnert sich: “ … in St. Wolfgang befand sich auch der berühmte Geigenvirtuose Váša Príhoda, der die feudale Villa des in Wien reich gewordenen böhmischen Schneiders Kral gemietet hatte. Príhoda übte bei schönem Wetter meist bei offenem Fenster, und trotz des weitläufigen Parks, der das Haus umgab, konnte man sein Spiel auch außerhalb der Umzäunung hören. Gemeinsam mit meinem Freund Hansl Jocher, ebenfalls ein Geigen-Enthusiast, lauschte ich oft dem virtuosen Spiel von Príhoda. Es war dies ein unvergessliches Erlebnis  ...“,

Am 17. November 1919 – also noch vor seinem Durchbruch - spielte er mit dem Wiener Sinfonie-Orchester im „Großen Konzerthaus“ die Konzerte E-Dur von Bach und D-Dur-Konzert von Tschaikowsky. Am 22. November 1922 standen das 1. Violinkonzert von Paganini und das e-moll-Konzert von Mendelssohn auf dem Programm. Im Folgejahr erlebte man ihn an gleicher Stelle in neun Veranstaltungen mit Konzerten von Beethoven, Brahms, Lalo, Mozart, Tschaikowsky, Vieuxtemps. Erspielte sich im „Großen Konzerthaus“ Wien über zwei Jahrzehnte hinweg - bis Oktober 1943 - durch die gesamte Konzert- und Sonatenliteratur für Violine bis heran an die Musik des 20. Jahrhunderts.

Licht und Schatten

Während der frühen Wiener Jahre wurde er mit Arnold Rosé bekannt. Arnold Rosé, verheiratet mit Gustav Mahlers Schwester Justine, war 57 Jahre lang - von 1881 bis 1938 - Erster Konzertmeister der Wiener Hofoper und der Wiener Philharmoniker, sowie Primarius seines Rosé-Quartetts. Rosés Tochter Alma, um diese Zeit bereits eine erfolgreiche Geigerin, begann den jungen Príhoda – mit nachdrücklicher „Förderung“ durch ihren Vater - über dessen rein geigerische Fähigkeiten hinaus zu schätzen. Alma und Váša heirateten am 16. September 1930 in Wien - mit Arnold Rosé und Franz Werfel als Trauzeugen

Alma und Váša setzten ihre Konzerttätigkeit teils getrennt, teils gemeinsam fort. 1933 gründete Alma die Frauenkapelle „Wiener Walzermädeln“. Die an Turbulenzen reiche Ehe wurde 1935 geschieden. Sofort nach dem so genannten Anschluss Österreichs an Deutschland 1938 lösten die Deutschen Almas Damenkapelle auf und enthoben Arnold Rosé seiner Ämter ohne Anspruch auf Bezüge. Die materielle Lage der Familie Rosé ließ eine Emigration nicht zu. Erst eine Sammlung durch Carl Flesch ermöglichte die Übersiedelung nach England. Justine Rosé starb kurz vor der Abreise ...

Alma kehrte nach Holland zurück und konzertierte weiterhin öffentlich, erhielt aber nach dem Einmarsch der Deutschen keine Engagements mehr. Für kurze Zeit spielte sie noch bei Hauskonzerten. Mit Konstant van Leeuwen ging sie eine Scheinehe ein, weil sie sich mit einem „arischen“ Namen ungefährdeter wähnte. Ende 1942 versuchte sie aus Europa zu entkommen, wurde aber von den Deutschen in Frankreich gefasst, sechs Monate in Drancy (nahe Paris) interniert und dann nach Auschwitz deportiert, wo sie bis zu ihrem Tod am 4.4.1944 das Frauenorchester leitete. Príhoda erfuhr von Almas Schicksal erst nach Kriegsende. Für die Trennung zwischen Váša Príhoda und Alma Rosé werden bis heute noch immer politisch opportune Gründe angeführt – zu Unrecht: denn Príhoda heiratete 1937, ungeachtet der „Rassengesetze“, wiederum eine jüdische Frau. Man mag spekulieren, ob sein Verhalten Zivilcourage oder politischer Naivität entsprang ... - Arnold Rosés Bruder Eduard Rosé (1859-1943), als Cellist Mitbegründer des Rosé-Quartettes, ebenfalls mit einer Schwester Gustav Mahlers verheiratet, wurde 1942 als 82-Jähriger nach Theresienstadt deportiert und starb dort am 24. Januar 1943 ...

Konzertieren und Lehren

1935/36 spielte Príhoda in dem österreichisch-italienischen Film “Die weiße Frau des Maharadscha“ die Rolle eines Geigerst. Die betreffenden Szenen sind die einzigen Zeugnisse, die seine phänomenal geschmeidig-mühelose Beherrschung der Violine visuell vermitteln. Der Zweite Weltkrieg schränkte Príhodas Konzerttätigkeit drastisch ein, gab ihm aber Gelegenheit, seine Lehrtätigkeit in Salzburg und München zu intensivieren.

Gewandhausorchester-Konzertmeister Jürgen Hinrich Hewers: “1943 konnte ich ... in letzter Minute auf die Teilnehmerliste des Príhoda-Sommerkursus am Mozarteum gesetzt werden .... Es ist müßig darüber zu reden, was wir alle geigentechnisch von ihm lernen konnten ...Váša Príhoda nahm uns Kursteilnehmern durch sein verständnisvolles Verhalten jede anfängliche Befangenheit. Auch außerhalb der fachlichen Arbeit hatten wir die Möglichkeit, mit ihm zusammenzutreffen. So fanden wir uns abends zur Bierrunde im Stern-Bräu ein oder wanderten am Sonntag gemeinsam auf den Gaisberg. Wer andere Prominente kennt, weiß, dass das alles nicht selbstverständlich ist ... Als Pädagoge war er sicher auch ein Sonderfall. Er engte in keiner Weise ein. Wenn es gut war, durfte es auch anders sein, als er es sich ursprünglich vorgestellt hatte. Außerdem war es ihm ein besonderes Anliegen, befähigte Schüler auch zu fördern. Der konzertierende Musiker wird leider meist schnell vergessen. Diejenigen aber, die Váša Príhoda näher gekannt haben, konnten für ihr weiteres Leben bleibende Anregungen und Eindrücke mitnehmen, die sie sicher erst bei ihrem späteren eigenen Wirken im vollen Umfang schätzen lernten.“

Sein letztes heimatliches “Kriegs-Konzert“ fand am 31. März 1944 im Smetana-Saal des Repräsentationshauses statt. 1944 gab er noch Konzerte in München, Nürnberg, Dresden und - als wohl letztes Konzert während des 2. Weltkrieges - am 18. Mai 1944 in Leipzig mit dem Pianisten Gonnermann. Im München unterrichtete Príhoda an der Musik-Akademie noch so lange, bis es infolge der Zerstörungen keine Räumlichkeiten mehr gab. Erst da zog er sich nach Prag zurück.

Späte Jahre

Das Kriegsende brachte keine Verbesserung seiner Lage. Dusan Pandula: „Man müßte aber auch über ihn schreiben, wie er von eigenen Tschechen mißhandelt war nach 1945. Er, Ludikar und Talich, also drei absolute Spitzen, mußten marschieren über Wenzelplatz, wurden bespuckt, geschlagen und mußten Latrinen putzen.“ Rudolf Kundera: „Nach dem Jahr 1945 wurde er bei uns fast als Kollaborateur verurteilt. Leos Firkusny, der Bruder von Rudolf Firkusny, Beamter im Kultusministerium, hat ihm ‚fünf Minuten vor Zwölf’ über die Grenze geholfen. Váša hatte eine Tournee in Paris, die letzte unter tschechslowakischen Farben.“ Príhoda emigrierte am 27.10.1946 ins italienische Rapallo.

Die Wiener Presse erreichte durch Kampagnen, in denen sie ihm die Schuld an Alma Rosés Tod Frau gaben, dass er keine Engagements mehr erhielt und bereits vereinbarte abgesagt wurden. Mit Konzerten in Alexandria, Ankara, Istanbul und in Italien konnte er für den Lebensunterhalt de Familie sorgen. Noch 1946 wurde er in Österreich rehabilitiert. Ab 1947 konzertierte er in Wien wiederum jährlich.

Da die italienischen Behörden bei den Passverlängerungen zunehmend Schwierigkeiten bereiteten, nahm er im Oktober 1948 auf Angebot des türkischen Italien-Botschafters die türkische Staatsbürgerschaft an. So konnte er seinen Wohnsitz in Rapallo unbehelligt beibehalten.

Gesundheitliche Probleme, insbesondere Herzbeschwerden ein, beeinträchtigten Príhoda zunehmend. 1949 konzertierte er ein letztes Mal in den USA, danach in der Schweiz, Deutschland und Osterreich. 1950 nahm er eine Professur in Wien an. Privat wohnte und lehrte er in St. Gilgen am Wolfgangsee. Sein Anwesen lag wenige Meter vom Ufer weg. Hier konnte er endlich wieder einem seiner Hobbys nachgehen: dem Angeln!

1954 brach er sich in Salzburg bei einem Unfall den rechten Oberarm. Der komplizierte Bruch erforderte langwierige und folgenschwere stationäre Behandlung. Die psychischen und physischen Belastungen und sein wieder akut werdendes Herzleiden hinterließen nie mehr ganz behebbare Schäden. Er konnte zwar bereits im Januar 1955 wieder konzertieren, aber seine angeschlagene Verfassung zwang ihn zur Einschränkung seiner Tätigkeiten. Er übersiedelte nach Wien, um das Pendeln zwischen Wohnort der Musikhochschule zu vermeiden.

Bei legendär gewordenen Aufführung des Violinkonzertes von Dvorák am 30. Mai 1956 in der Prager Smetana-Halle wurde Príhoda mit einer der größten Ovationen empfangen, die dieser Saal in seiner Geschichte zu verzeichnen hatte. Nicht eingelassene Musikfreunde kletterten an den Fassaden hoch und stellten sich in die Fensteröffnungen. Zusammen mit dem stehenden Orchester hießen ihn die Besucher im völlig überfüllten Saal durch einen viertelstündigen Applaus willkommen. Príhoda beendete den Beifallssturm mit kurzem Dank, damit das Konzert überhaupt beginnen konnte. Inzwischen war seine Brille angelaufen: „Ich stand blind wie ein Maulwurf auf dem Podium!“ Auf dem durch die hohe Luftfeuchtigkeit nass gewordenen Griffbrett fanden die Finger nicht genügend Halt und versuchten teils vergeblich, die Spitzentöne der in höchste Höhen führenden Arpeggien zu fixieren, bis sie endlich für einen Moment lang doch noch strahlten!

Nicht weniger bejubelt wurden zwei weitere Rezitale am 5. und 7. Juni im „Hause der Künstler“. Diese Prager Konzerte gehören zu den letzten Höhepunkten in seinem Leben. 1958 nahm er in Italien noch einige Schallplatten auf, darunter die unvermeidlichen „Nel cor piu non mi sento“- Variationen von Paganini. Im April 1960 gab er die letzten Konzerte. Am 27. Juli 1960 erlag er, kurz vor dem 60. Geburtstag, seinem Herzleiden.

Eine fast unendliche Geschichte

Das kurze Prager Intermezzo ist Teil einer eben so langen wie tragischen Geschichte. In Gesprächen mit seiner Schwester Ružena kam Príhoda immer wieder auf Vodñany zurück: "Da möchte ich mich mal niederlassen. Ich würde auch so eine Geigerschule errichten wie die von Prof. Ševcík in Písek. In der freien Zeit würde ich angeln und die Erinnerungen an die schönen Jahre der Kinderzeit wachrufen".

Nach Kriegsende wollte er diesen Plan verwirklichen. Am 10. Januar 1946 schrieb er an den MNV (= Místní národní výbor ve Vodñanech = örtlicher Nationalausschuß in Vodñany), in dem er vorsichtig entsprechende Kontakte zu knüpfen versuchte:

„Sehr geehrte Herren!

Ich danke Ihnen für die nette Aufmerksamkeit, die mir als einem in Vodñany Gebürtigen doppelt lieb war. Ich muß besonders erwähnen, daß ich die Kostproben der berühmten Vodñanyer Zucht gern genossen habe. Ich hoffe, daß es mir möglich sein wird, meine Heimatstadt in absehbarer Zeit zu besuchen, die Stadt, an die ich viele schöne Erinnerungen habe.

Mit Hochachtung

Váša Príhoda“

Nun folgte eine nicht abreissende Kette von Gesuchen sowohl durch Príhoda selbst als auch durch seine Schwester um dauerhafte Niederlassung in Vodñany. Sie wurden allesamt abgelehnt. Nach zwölf Jahren – in engem Zusammenhang mit den Prager Konzerten – schien ein Brief vom 26. Juli 1956 aus dem Ministerium für Kultur Prag Erfolg zu verheißen:

„An den RaMNV.

An den Wohnungsausschuß.

Das Ministerium für Schulwesen und Kultur empfiehlt, daß Herrn Váša Príhoda, Professor an der Wiener Musikakademie, während seines Aufenthaltes in der ÈSR, durch den N Vodñany ein bis zwei Zimmer im Haus seiner Verwandten in Vodòany zur Verfügung gestellt werden (Name des Verwandten: Ferdinand Rídký, V, Haus Nr. 37/2).

Das Ministerium für Schulwesen und Kultur hat ein Interesse daran, daß dieser bedeutende tschechische Geiger, der wieder in der Tschechoslowakei tätig sein soll, in den Genuß aller Vergünstigungen kommt, die den Kulturschaffenden in der ÈSR zustehen (siehe Amtsblatt des ehemaligen Ministeriums für Arbeit und Sozialfürsorge Nr. 1152/48 Ú.l.).

Wir hoffen, daß es Ihnen möglich sein wird, im Rahmen der Wohnungssituation Ihres NV, diesem absolut berechtigten Ansuchen zu entsprechen.

Mit Genossen-Gruß

Vladimír Ludvík - Leiter des Kunstausschußes“

Diese Bitte von höchster Stelle wurde am 28.Juli 1956 abgelehnt mit der Begründung: "... das Schreiben des Kultusministeriums kann der RaMN Vodñany in diesem Fall nicht berücksichtigen ...".

Príhoda starb 4 Jahre später in Wien, ohne nochmals heimatlichen Boden betreten zu haben. Seine Schwester Ruzena durfte trotz dringendster Bittgesuche nicht zur Beisetzung fahren. Sie kämpfte bis zu ihrem Tod im Jahre 1983 für die Rehabilitierung ihres Bruders weiter – ohne Erfolg.

Erst im Jahr 2000 kam anlässlich des 100. Geburtstages „Bewegung in die Sache“. An der Karls-Universität Prag sollte auf Initiative von Prof. ThDr. Zdenek Kucera eine zweitägige Príhoda-Gedenkveranstaltung stattfinden, die dann aber durch wenig glückliche Begleitumstände leider nicht realisiert werden konnte. Vodñanys Bürgermeister Vaclav Herman ließ auf Anregung der Geigerin Pavla Zilova eine Gedenktafel an Príhodas Geburtshaus anbringen und besuchte mit einer städtischen Abordnung am 22. August 2000 – Príhodas 100. Geburtstag - dessen Grab in Wien. In einer Gedenkschrift ließ er das bis dahin zurückgehaltene Material über die Vorgänge in den Nachkriegsjahren veröffentlichen. Im Rathaus selbst besteht inzwischen ein Príhoda-Archiv und eine Dauerausstellung. Der Musiksaal der örtlichen Musikschule wurde nach Príhoda benannt. Pavla Zilova gründete 2005 eine Príhoda-Gesellschaft, für die das Schul- und Kultusministerium Unterstützung zugesagt hat. Zu ihren weiteren Plänen gehört die Einrichtung eines Príhoda-Wettbewerbes. Im März 2005 hielt die italienische ESTA in Ferrara ein ganz Váša Príhoda  gewidmetes Symposium „Una Giornata con Váša Príhoda“ ab. Die Vorträge wurden in den „ESTA-Quaderni“ vom Dezember 2005 veröffentlicht.

Musikalische Hinterlassenschaft

Bei den USA-Tourneen 1921 und 1922 nahm Príhoda zwei Serien an Einspielungen in den Edison-Studios auf. Beim ersten Zyklus begleitete ihn die Pianistin Asta Doubravská. Erst im Zweiten Weltkrieg erfuhr Príhoda, dass außer den „schwarzen Scheiben“ auch ein Sohn Petr das Licht der Welt erblickte. Er adoptierte ihn sofort.

Der Geiger, Pianist und Komponist Charles Cerné wurde bis etwa 1930 ständiger Partner am Flügel. Gelegentlich konzertierte er auch mit den Pianisten Michael Raucheisen und Bruno Seidler-Winkler. Ihnen folgte Otto Alfons Graef, der bis 1960 neben der pianistischen Seite auch die organisatorische Seite wahrnahm. Das Duo Príhoda-Graef absolvierte in dieser langen Zeit rund 2000 Konzerte!

Zu Príhodas maßstabsetzenden Leistungen gehören vor allem die Interpretationen des Violinkonzert, der ‘Romantischen Stücke‘ und der G-Dur-Sonatine von Dvorák, Smetanas ‘Aus der Heimat‘, Tschaikowskys Violinkonzert, Tartinis Teufelstriller-Sonate mit einer unglaublich gespielten eigenen Kadenz, Bachs Chaconne und der Fuge aus der C-dur-Sonate, seine Bearbeitung des Rosenkavalier-Walzers von Richard Strauss, Paganinis „Nel cor piu non mi sento“-Variationen, sowie einer ganzen Reihe unnachahmlich vollkommen gespielter Stücke der “Kleinkunst“. Musikfreunde, unter ihnen vor allem die Geiger, erinnern sich mit einer Mischung aus Dankbarkeit und Wehmut an seine Darstellungen der Konzerte und Sonaten von Paganini, Veracini, Beethoven, Brahms, Sibelius, Franck, Schumann. Dankbarkeit - weil sie durch Váša Príhoda unvergeßbare Eindrücke empfingen. Wehmut: weil wesentliche Teile von Príhodas Repertoire nicht auf Tonträger festgehalten wurden.

Bohuslaw Matousek brachte es auf den Punkt: „Schade dass Maestro Príhoda nicht mehr zwischen uns ist, aber sein Musizieren bleibt als faszinierender Genuß hier für Ewig ...

Wolfgang Wendel